Brünneken

In die Zeit nach dem 30 jährigen Kriege reichen auch die Anfänge der Prozession zum Brünneken zurück, die auf den mittelalterlichen Glauben an die Heilkraft des Quellwassers zurückzuführen ist. Daran erinnerte in Verne noch ein Bildstock aus dem Jahre 1699, der bis zu seiner Erneuerung im Jahre 1913 folgende Inschrift trug:

Fons saLlentls AqVae tlbl praesto est presse Vlator!

SI MorbUs VeXet, sit tlbl CUra DeUs!

Quelle lebendigen Wassers dir zu Händen, o Pilger!

Wenn eine Krankheit dich quält, bringe dir Heilung dein Gott!

Das Chronostichon der Inschrift ergibt das Jahr 1699. So wurde auch in Verne die Quelle des Bohmke-Baches mit der Wunderkraft des Gnadenbildes in Verbindung gebracht. Als nun im Jahre 1679 an der Straße nach Salzkotten die Steinbildstöcke errichtet worden waren, die das Volk die „Sieben Fußfälle Mariä“ nannte, war damit der Weg der Prozession mit dem Gnadenbild für die Zukunft vorgezeichnet. Aber erst im Jahre 1880 wurden nach mehrfachen Umstellungen alle heutigen 6 Heiligenhäuschen an den Weg zum Brünneken gesetzt, während man mit der Versetzung schon im Jahre 1845 begonnen hatte. Ihren heutigen Standort erhielten die 6 Heiligenhäuschen erst im Jahre 1932, als nach der Erweiterung des Geländes beim Brünneken der Vorplatz und die Umgebung der Kapelle modern gestaltet wurden. Im Jahre 1938 wurde die um 1900 geschaffene Einsiedelei wieder aufgehoben. Das siebte Heiligenhäuschen musste wegen des Bahnbaues an den Weg nach Upsprunge verpflanzt werden. So entstand eine neue Prozession zu den Bildstöcken und zum Brünneken, die sogenannte „Kleine Liebfrauentracht“, die durch die Verordnung des Fürstbischofs Ferdinand II. von Fürstenberg vom 7. 4. 1677 genehmigt worden war.

Sie wurde alljährlich am 12. Mai abgehalten. Am Bildstock vor Salzkotten hatte der dortige Pfarrer die Ansprache zu halten, während auf der Rückkehr bei Kleinverne gewöhnlich ein Missionspater die Schlußpredigt hielt, nach einem Bericht des Pfarrers Johannes Luigs (1782-1800) vom Jahre 1783 wurde damals schon bei dieser Prozession das Sanktissimum mitgeführt. Im Zeitalter der Markenteilung und der Festlegung der Gemeindegrenze, die den Verbleib der Prozessionen innerhalb der eigenen Feldmark nahelegten, zog Pfarrer Claes von Salzkotten im Jahre 1837 seine Teilnahme an der „Kleinen Liebfrauentracht" zurück. An der Stelle, wo nach der Überlieferung das wundertätige Gnadenbild aufgefunden worden war, entstand als Ziel der „Kleinen Liebfrauentracht” nun ein kleines Gotteshaus, das über der heilkräftigen Quelle errichtet wurde. Dieser Fachwerkbau wurde dann im Jahre 1851 durch einen massiven Neubau ersetzt. Das bezeugt die Inschrift, „In honorern Beatae Mariae Virginis oblationibus fidelium exstructum 1851”. Es ist eine schlichte einschiffige Kapelle mit einem Dachreiter. Das auf der Wetterseite vorgekragte Dach ruht auf 4 Holzsäulen. Die Kapelle hat eine flache Decke und spitzbogige, mit gotischem Maßwerk verzierte Fenster. Im Fußboden ist eine Öffnung für den Brunnen, dessen Wasser eine heil- und wunderkräftige Wirkung haben soll. Unter dem Altar Fließt die Quelle in den Bohmke-Bach ab. Die Statue der Madonna, 0,47m hoch, ist aus Holz gefertigt und gehört dem 19. Jahrhundert an. Sie wird die „Schwitzende Madonna” genannt und ist eine rohe Nachahmung des Steinreliefs der Madonna an der äußeren Südseite der Pfarrkirche. Das Bildwerk, das keinen Kunstwert besitzt, ist eine Stiftung des Frh. von Brenken. Die Heiligenhäuschen sind aus Sandstein gearbeitet. Sie sind als Stationen für die Prozession gedacht und stammen aus dem Jahre 1679.

In den Gehäusen befinden sich Holztafeln mit gemalten biblischen Darstellungen, z.B. die Verkündigung, Anbetung der Hirten, die hl. 3 Könige, die Auferstehung, die Himmelfahrt und die Herabkunft des hl. Geistes. Es sind handwerksmäßige Ausführungen aus dem Ende des 17. Jahrhunderts. Später wurden sie in Farbe gesetzt. Im Jahre 1969 wurden das Bildwerk und die Holztafeln aus den 5 Heiligenhäuschen gestohlen. Die Marienverehrung in Verne konnte sich der Gunst und Förderung von 2 Paderborner Bischöfen erfreuen. Genau 100 Jahre nach Ferdinand II. von Fürstenberg war es Bischof Wilhelm Anton von Asseburg (1763—1782), der als eifriger Verehrer der Gottesmutter im Jahre 1763 eine Wallfahrt von Paderborn nach Verne ins Leben rief. Alljährlich am Feste Mariä Heimsuchung (2. Juli) fand seitdem die große Pilgerfahrt der Paderborner zum Gnadenbilde nach Verne statt, wodurch die Marienverehrung einen neuen Auftrieb erhielt. Anläßlich der 150. Bittfahrt der Paderborner nach Verne nahm Bischof Carl Josef am 15. 8. 1913 die Krönung des Gnadenbildes vor.
Das war der letzte große Höhepunkt in der Marienverehrung in Verne. Die beiden Weltkriege mußten natürlich dem alten religiösen Brauchtum abträglich sein. Jedoch sollte selbst nach dem II. Weltkriege die Marienverehrung eine erfreuliche Wiederbelebung erfahren. Die traditionellen Wallfahrten der Gläubigen aus dem Paderborner Lande zur Muttergottes nach Verne wurden wiederaufgenommen. An den Marienfesten und den Sonntagen des Maimonats zeigte Verne wieder das gewohnte Bild. In feierlicher Weise hielten die Dorfbewohner im Verein mit den auswärtigen Pilgern ihre Prozession zum Brünneken, wobei die alte St. Marien-Schiützengilde die Ehrenwache stellte.

Dieses feierliche Schauspiel erlebte im Jahre 1954 sogar einen neuen Höhepunkt. In dem vom Papst Pius XII. verkündeten Marianischen Jahr soll die Zahl der Wallfahrer nach Verne nach Angabe des Pfarrers 80000 Gläubige betragen haben.Wenn auch der Wallfahrtsort sich bemüht, die jahrhundertealte religiöse Tradition zu pflegen und die Bittprozessionen neu zu beleben, so ist doch ein starker Schwund religiösen Brauchtums unverkennbar. Ja, es wird sogar der Abschaffung der angeblich überholten Formen christlicher Frömmigkeit das Wort geredet.

 

Quelle: Stadt und Amt Salzkotten, Westfalen-Druckerei Ed. Schöningh KG, Paderborn 1970